Das Verhalten ziemlich normaler Menschen

  • dtv
  • Erschienen: Oktober 2024
  • 3

übersetzt von Ute Mihr; Broschur, 352 Seiten

ISBN: 9783423650403

Das Verhalten ziemlich normaler Menschen
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen
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Sabine Bongenberg
7101

Jugendbuch-Couch Rezension vonMär 2025

Auf vielen Seiten sehr viel Tod und Trauer

Hätte irgendein mieser Dieb nicht Asher Hunters Fußballschuhe aus seinem Spind geklaut, dann hätte er nicht seine Mutter bitten müssen, ihm für das wichtige Spiel neue Schuhe zu kaufen, sie wäre nicht zum Wallmart gefahren und ein betrunkener Lastwagenfahrer wäre nicht in ihren Wagen gerast und hätte sie getötet. Das alles wäre nicht passiert und seine Mutter säße mit der gesamten Familie morgens am Frühstückstisch. Dennoch IST es so gekommen, Ashers Mutter wurde bei dem Unfall getötet und Asher weiß nicht, wohin mit seiner Trauer, seiner Wut und seiner Angst, die ihn befällt, wenn er darüber nachdenkt, was seiner Familie sonst noch alles zustoßen könnte. 

Er sucht Halt und Hilfe in verschiedenen Trauergruppen und das ist einerseits die der Senioren, wo auch der 80jährige Henry damit zurechtzukommen versucht, dass seine Ehefrau Evelyn nach all den langen Jahren verstorben ist und ihn allein gelassen hat. Da ist andererseits die der Teenager, wo die 17jährige Sloane ihren Vater betrauert, der immer so gerne für die Familie gegrillt hat und auch der gleichaltrige Will den Verlust seines kleinen Bruders beweint. Asher, Sloane, Will und nicht zuletzt Henry beschließen eine besondere Fahrt zum Andenken ihrer verstorbenen Familienmitglieder zu unternehmen und daher von Bergen im Staat New Jersey nach Graceland Tennessee zu reisen. Asher verschweigt dabei nur einen kleinen Umstand: Seit Monaten hat er die Familie des betrunkenen Lkw-Fahrers gestalkt und er plant eine besondere Rache am Mörder seiner Mutter. 

Hätte, wäre, könnte, würde ...

Natürlich ist es der absolute Alptraum: Deine Mutter fährt einfach nur mal kurz zum Einkaufen und kommt nie wieder zurück. Einfach deswegen, weil ein betrunkener Lkw-Fahrer in ihr Auto gedonnert ist. Der Ich-Erzähler Asher Hunt würde gerne aus diesem Alptraum aufwachen. Aus einem Alptraum, der ihm zuflüstert, dass er eigentlich die Schuld an ihrem Tod trägt, wenn er nicht unbedingt die neuen Schuhe gebraucht hätte. Asher ist verzweifelt, verwirrt und zornig und versucht, alles zu unternehmen um seine vermeintliche Schuld zu mindern und so wenigstens seine anderen Familienmitglieder vor Gefahren zu schützen. Manchmal ist das allerdings bizarr zu lesen - so wenn er seine kleine Schwester Chloe mit Rettungsweste und Sturzhelm ins Bett schickt und ihr dazu noch Handschuhe aus Alu-Folie gebastelt hat - damit wirklich nichts passiert.

Asher stellt aber alsbald fest, dass auch er nicht alleine in seiner Verzweiflung ist. Da sind Sloane und Will, die auch Familienmitglieder verloren haben und deswegen so verstört sind wie er. Mit ihnen und Henry aus der Senioren-Trauergruppe begibt sich Asher auf eine Reise durch die USA an deren Ende aber nicht - wie er allen erzählt - ein harmloser Besuch von Elvis Villa Graceland stehen soll. Der Junge plant vielmehr, sich an dem „Mörder“ seiner Mutter zu rächen. Dafür hat er auch schon einige Vorbereitungen getroffen, hat er sich doch über das Internet und unter falschem Namen in die Familie seines Opfers eingeschlichen. Hier stellten sich aber dann auch erste kritische Frage zu unserem Helden: Auch wenn er und seine Familie natürlich die Verletzten sind, die unter dem Tod der Mutter zu leiden haben - berechtigt das dazu, sich in eine andere Familie einzuschleichen und denen, die mit der Sache gar nichts zu tun haben, weh zu tun?

Ein gewaltiger Berg von schwarzen Emotionen

K.J. Reilly beschreibt sensibel und einfühlsam die Trauer und Verzweiflung, die Ashers Leben bestimmen. Vieles ist nachvollziehbar - seine Wut auf jeden, der möglicherweise Schuld am Unfall trägt, seine Angst um seine verbleibenden Familienmitglieder und auch seine ständige Aggression gegenüber denen, die seinen Schmerz nicht nachvollziehen können. Als er sich nun mitsamt seinen Freunden, die ja auch auf schmerzhafte Verluste zurückblicken, auf die Reise nach Memphis begibt, sitzt in seinem Wagen daher eine gewaltige Ladung von Trauer. Das macht die Geschichte aber manchmal mühsam zu lesen, denn mindestens dreiviertel der Seiten des Buches sprechen von Tod und Verlust und bei allem Verständnis und Mitgefühl - manchmal war es mir schlicht und ergreifend zu viel. Unverständlich war auch für mich die Rolle des Henry, der die Reise eigentlich und auf bizarre Weise mit seiner geliebten Evelyn antrat und sicherlich für viele skurrile Momente sorgte, die aber nicht zur Entwicklung der Geschichte beitrugen.

Fazit

K.J. Reilly schickt drei verzweifelte und verlorene Jugendliche auf eine eigenartige Reise. Vorher haben sie eine Therapie an Ort und Stelle gemacht, jetzt lernen sie anhand verschiedener Stationen, die sie an ihre Familienmitglieder erinnern, wie sich möglicherweise mit der Trauer leben lässt oder sie vielleicht sogar eines Tages überwunden werden kann.

Das Verhalten ziemlich normaler Menschen

K.J. Reilly, dtv

Das Verhalten ziemlich normaler Menschen

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