Warum willst du jetzt schon gehen?

  • Loewe
  • Erschienen: Juli 2024
  • 0

Broschur, 320 Seiten

ISBN: 9783743218826

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Theresa Mürmann
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonAug 2024

Endlich eine Liebesgeschichte ohne Happy End

Der 16-jährigen Helena steht ein ganz besonderer Schulwechsel bevor: Sie wird ab sofort auf das Sankt-Zander-Internat (SZI) für angehende Künstlerinnen und Künstler jeder Sparte gehen. Sie selbst liebt die Literatur, allerdings weniger die klassische. Helenas Leidenschaft gilt aktuellen Liebesromanen, von denen sie selbst immer wieder welche auf Wattpad veröffentlicht. Natürlich unter einem Pseudonym, denn wenn Helena eines gar nicht mag, dann ist es, im Mittelpunkt zu stehen. Die Einführungstage der neuen Schule, die idyllisch auf einer Nordseehalbinsel gelegen ist, sind für sie deshalb alles andere als entspannt, schließlich muss man erste Kontakte mit neuen Mitschülerinnen und Mitschülern knüpfen. Eine Begegnung wirft Helena jedoch vollkommen aus der Bahn – die mit Art.

Art erfüllt die Rolle des geheimnisvollen Indie-Frontsängers in Perfektion. Songs voller Gefühle, umgeben von einem unsichtbaren Schmerz und einer gewissen Tiefgründigkeit. Nicht zu vergessen, dass Art unheimlich attraktiv und mit einer im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Stimme gesegnet ist. Helena kann kaum glauben, dass Art sich für sie interessieren zu scheint. Sie, die doch eigentlich nichts Besonderes ist und nebenbei noch ziemlich krumme Finger hat, sich die langweiligen Haare regelmäßig färbt und gar nichts Wichtiges zu sagen hat.

„Furchtbar dominant. Total toxisch. Red Flag.“

Die unzählbare Menge an Neuerscheinungen im Young-/New-Adult-Genre hat meist einen gemeinsamen Kern: Es wird, auf welchem Wege auch immer, die große Liebe gefunden. Aber was ist, wenn es mal kein Happy End gibt? Wenn die Schmetterlinge im Bauch sich plötzlich in ein riesengroßes Loch verwandeln und nichts bleibt als eine dunkle Leere. Von der Wolke sieben geht es im Sturzflug abwärts. Was bleibt sind die Wunden des harten Aufpralls.

Helenas Geschichte wird in der Rückblende erzählt: Es ist, als würde man einsteigen in eine Achterbahn. Vor einem halben Jahr lag Helenas Welt mit der Trennung ihrer Eltern schon einmal in Trümmern. Seitdem will ihre selbstbewusste Schwester Mila nichts mehr mit den beiden „Heuchlern“ zu tun haben und lässt die Kommunikation nur noch über Helena laufen. Auf dem SZI möchte diese ein bisschen Abstand zu allem gewinnen. In ihrer Zimmernachbarin Amber findet Helena direkt eine neue Freundin und in gewisser Weise eine introvertierte Seelenverwandte. Doch zu einer emotionalen Zuflucht wird Art. Der attraktive Art hat zwar den Ruf eines Bad Boys und keine rühmliche Vergangenheit, doch Helena möchte an das Gute im Menschen glauben. Hat nicht jeder eine zweite Chance verdient?

Wenn die Selbstliebe fehlt…

Wer etwas im Leben verdient und wer nicht, scheint für Helena ohnehin die zentrale Frage zu sein. Auch wenn sie weiß, dass sie nicht so fühlen darf, so sieht sich selbst doch als klein und wertlos im Gegensatz zu den anderen an. Warum sollte jemand wie Art sich für sie interessieren? Warum schreibt jemand einen Song für sie? Aus welchem Grund sollte sie jemand begehren? Die Beziehung zu Art ist von Anfang an toxisch. Man hat beim Lesen häufig das Gefühl, dass dieser Helena wie eine Marionette in der Hand hat und ganz genau weiß, welche Fäden er ziehen muss. Er überschüttet sie mit Liebe, reagiert übertrieben eifersüchtig, drängt Helena geschickt manipulativ zu sexuellen Handlungen und verschwindet dann prompt vom Radar. Doch obwohl Helena weiß, dass sowohl ihr Bauchgefühl als auch ihr Körper ihr raten, sich von Art fernzuhalten, kann sie ihr Bild von einer romantischen Liebe noch nicht einreißen.

Psychische Erkrankungen, zerbrochene Familien und Freundschaften sowie soziale Ängste – dieses Buch spricht eine ganze Bandbreite von Themen an und hätte für diese definitiv noch mehr Raum gebraucht. Gerade bei Jugendlichen und junge Erwachsenen dominieren Unsicherheiten oft den Alltag. Die erste Liebe wird zumeist idealisiert, die Realität zeichnet nicht selten ein anderes Bild. Doch auch abseits der Liebesgeschichte wird anhand der Protagonistin ein authentischer Einblick in das Leben schüchterner Menschen gegeben. Jede noch so unwichtige Vorstellungsrunde kann zu einem Kraftakt werden, eine Unterhaltung mit unbekannten Leuten zu schweißnassen Händen führen und das Wort „Referat“ regelrechte Panik auslösen. Aber, und das ist die Message, dieses Buches: So darf es sein. Deine Ängste dürfen sein. Du bist gut, so wie du bist.

Fazit

Ein wichtiger Young-Adult-Titel, der die enge Verbindung von Liebe und Selbstwert sowie die Gefahren manipulativer Beziehungsmuster aufzeigt. Sehr gerne empfohlen.

Warum willst du jetzt schon gehen?

Gabriella Santos de Lima, Loewe

Warum willst du jetzt schon gehen?

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