The Glass Girl
- Fischer Sauerländer
- Erschienen: Februar 2025
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übersetzt von Barbara König; Broschur, 528 Seiten
ISBN: 9783737373944


Ein emotionaler, schonungsloser und vielschichtiger Blick auf das Thema Alkoholsucht
Als hätten die Trennung ihrer Eltern und der Tod ihrer Großmutter Laurel nicht schon gereicht, macht nun auch noch ihr Freund Dylan mit ihr Schluss. Für die 15-jährige Bella fallen alle Sicherheiten nach und nach wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Momente der Ruhe und Leichtigkeit findet sie in ihrer täglichen Flasche Sprodka - Sprite mit Wodka. Irgendwann in den letzten Monaten hat sich mit dem Trinken eine Routine eingeschlichen, ohne die Bella ihren Alltag nicht mehr bewältigen kann. Doch mit dem Alkohol im Blut fällt es ihr zunehmend schwerer, die Fassade aufrecht zu erhalten.
Ihre Freundschaft zu Amber wird brüchig, in der Schule kann sich Bella kaum noch konzentrieren und die Trennungssituation ihrer Eltern sowie die Verantwortung für ihre kleine Schwester Ricci scheinen sie zu erdrücken. Immer wieder flüchtet sich Bella in das erlösende Trinken. Sie erfindet Ausreden, konstruiert ein Gebäude aus Lügen um sich herum, spekuliert auf kleine Zeitfenster, in denen sie sich unbeobachtet einen Schluck Sprodka genehmigen kann. Doch es bleibt nicht beim Geheimen: Auf einer Party betrinkt sich Bella bis zu Bewusstlosigkeit und findet sich kurz darauf in einer Entzugsklinik wieder.
„Kleine Backsteine der Schande stapeln sich in mir auf, einer nach dem anderen und drücken mich nieder. Ich war zu viel. Und jetzt bin ich ein Problem.“
Die Jugendbücher der US-amerikanischen Autorin Kathleen Glasgow haben eines gemeinsam: Es ist unmöglich, danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Die Geschichten berühren, schockieren und lassen einen bisweilen sprachlos zurück. Dabei wird der Finger immer wieder bewusst in die offene Wunde gelegt. Es gibt keinen Drang zum Happy End und das macht das Gesamtwerk so ungemein authentisch.
In Bellas Leben gibt es kein fröhliches Davor, das ein jähes Ende findet. Wenn sie genau überlegt, und das macht sie regelmäßig in Form von kurzen Rückblenden und Gedankenfetzen, dann spielte die Geburt ihrer Schwester Ricci vor sieben Jahren eine große Rolle für ihre Entwicklung. Ricci war ein sehr anstrengendes Baby, das ihre Mutter 24 Stunden am Tag forderte. Da blieb nicht viel Zeit für Bella, zumal sich ihr Vater zunehmend aus dem Familienleben zurückzog. Bella lernte sich anzupassen, wollte nicht „zu viel“ sein, fühlte sich aber genau so. Und genau dieses „zu viel“ haut ihr Dylan, ihre scheinbar große Liebe, bei der Trennung wieder um die Ohren. Zu viel, zu viel, zu viel. Warum ist sie immer „zu viel“?
Doch es sind nicht nur die familiären Probleme oder die Trennung von Dylan, die zu Bellas enormen Ängsten, Zweifeln und Sorgen geführt haben. Still und leise eröffnet der Roman immer wieder einen Blick zurück auf die Corona-Pandemie. Schülerinnen und Schüler haben unter dem Homeschooling und der damit verbundenen Isolation gelitten. Bella empfand eine enorme Schuld bei den Besuchen ihrer Großmutter Laurel, denn stets war da diese Stimme in ihrem Kopf: „überall Krankheitserreger, fass bloß nichts an, desinfiziere dich, atme nicht“. Die Spuren dieser Zeit sind noch immer da. Zusammen mit dem Tod von Laurel, die sie unfassbar geliebt hat, ist das Päckchen, das Bella alleine schultern muss, schier untragbar geworden.
Wenn die Sucht dein Leben bestimmt
Die Autorin schafft es erneut, durch ihren Schreibstil eine ungemeine Nähe zur Protagonistin zu erzeugen. Bella ist ein sehr reflektierter Mensch und lässt uns an ihrem wiederkehrenden Gedankenkarussel teilhaben. Stück für Stück werden die Beziehungen zu einzelnen Menschen in ihrem Umfeld, zu ihrer Familie und Freunden betrachtet und analysiert. Wie konnte es eigentlich dazu kommen? Insbesondere die Szenen, in denen Bella im Alkoholrausch ist, öffnen die Augen für die Tücken dieser Droge. Kurze Sätze, Ellipsen, verwirrende Satzsprünge, fehlende Satzzeichen - als Leserin erlebt man die zerstörerische Kraft des Alkohols hautnah mit.
Im harten Klinikalltag erkennt Bella, dass sie ein Problem hat. Und sie ist nicht die Einzige: Da sind noch Brandy, Holly, Josh, Charlotte und viele, viele andere junge Menschen, die grausame Kindheiten, schwere Schicksalsschläge oder andere prägende Erfahrungen gemacht haben, die sie in die Sucht getrieben haben. Obwohl die Jugendlichen die Sporteinheiten am frühen Morgen, die Putzdienste und strengen Regeln alles andere als lieben, geben sie ihnen Halt und Struktur. Eine Entlassung aus der Klinik ist für die meisten unter ihnen keine Befreiung. Nicht selten wartet eine viel härtere und erbarmungslosere Realität auf sie.
Plus: Ein Aufenthalt in der Klinik wird nicht alles wieder gut werden lassen. Die Sucht bleibt, meist ein Leben lang und es gilt, sie nicht gewinnen zu lassen. Bella kämpft, fällt hin, steht wieder auf, fällt hin, steht wieder auf. Verstörend ist dabei vor allem, dass selbst ihr nahestehende Personen, allen voran ihr Vater, den Ernst der Lage bis zum Schluss nicht begriffen haben und einen Rückfall billigend in Kauf nehmen würde.
Dieser Roman schafft es auf eine äußerst sensible und realistische Art und Weise, das Thema Sucht für junge Leserinnen und Leser ungeschönt und ehrlich aufzuarbeiten. So oft denkt man, nun hat Bella es geschafft, sie ist über den Berg. Und dann wird sie durch einen plötzlichen Zufall oder missbrauchtes Vertrauen wieder mit ihrer Alkoholsucht konfrontiert. Aber am Ende des Tunnels ist ein schmales, hoffnungsvolles Licht zu erkennen.
Fazit
Bellas Geschichte steht stellvertretend für so viele junge Menschen da draußen. Sie rührt zu Tränen, macht wütend und traurig. Aber vor allem zeigt sie eine starke Protagonistin, die nicht aufgibt. Absolute Leseempfehlung!

Kathleen Glasgow, Fischer Sauerländer
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