Das letzte Aufgebot

  • Karibu
  • Erschienen: März 2025
  • 0

Hardcover, 317 Seiten

ISBN: 9783961294879

Das letzte Aufgebot
Das letzte Aufgebot
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Theresa Mürmann
10101

Jugendbuch-Couch Rezension vonApr 2025

Einmal begonnen lässt einen dieses Buch nicht mehr los

Es ist das Jahr 1944: Auch in dem kleinen Dorf Steinbach hat der Zweite Weltkrieg natürlich schon seine Spuren hinterlassen. Männer, die nicht von der Front heimkehren; zurückgelassene Frauen und Kinder; ein Mangel an Lebensmitteln und Kleidung. Trotz allem schaffen es der 15-jährige Jakob und seine Freunde aus diesem letzten gemeinsamen Sommer noch das Beste herauszuholen. Ein Nachmittag am See, ein Festabend auf dem Dorfplatz und, zumindest in Jakobs Fall, die erste große Liebe. Wenn es nach ihm ginge, würde er gerne rund um die Uhr mit Maria zusammen sein. Eine gemeinsame, unbeschwerte Zukunft ist das, wovon sie träumen.

Doch dann durchkreuzt eine Nachricht alle hoffnungsvollen Pläne: Alle jungen Männer ab 16 Jahren werden als Soldaten eingezogen. Jakob ist eigentlich nicht betroffen, doch der Druck auf ihn, sich freiwillig zu melden, wächst von Stunde zu Stunde. In einer jugendlichen Euphorie und einem der Propaganda geschuldeten Verantwortungsbewusstsein verpflichtet sich Jakob aus freien Stücken. Die Realität im Reichsausbildungslager Germeter trifft die Freundesgruppe wie ein Faustschlag ins Gesicht. Jakob erkennt nach und nach, welche Lügen ihnen all die Jahre erzählt wurde. Aus Freunden werden Feinde. Aus Vertrauen wird Verrat…

„Das ist also die Wahl, die wir haben. Mann oder Feigling. Da gibt es nicht viel zu überlegen.“

Niemals würde man vermuten, dass dieses Jugendbuch der Debütroman von Moritz Seibert, Intendant des Jungen Theaters Bonn, sein könnte. „Das letzte Aufgebot“ basiert auf einem gleichnamigen Theaterstück, das er vor einigen Jahren zusammen mit Jugendlichen des Nachwuchsensembles geschrieben hat. Zwar sind alle Figuren und der Plot vollkommen fiktiv, jedoch wurde Seibert beim Schreiben des Dramas sowie des Romans von der eigenen Familiengeschichte inspiriert.

Jakobs Geschichte geht unter die Haut, macht sprachlos und erschüttert. Gerade noch beschäftigten sich die jungen Männer mit allzu klassischen Pubertätsfragen, dann finden sie sich in einem grausamen Krieg wieder. Dabei spielt sich das Geschehen zu keinem Zeitpunkt an der Front selbst ab, denn für Jakob ist ein anderer Weg vorgezeichnet. Die Schauplätze begrenzen sich auf das Dorf Steinbach und seine Umgebung sowie das Reichsausbildungslager Germeter. Feinfühlig und zutiefst bedauernd wird vermittelt, wie sich in den Jugendlichen immer mehr die bitterböse Erkenntnis setzt, dass sie diesen Krieg niemals gewinnen werden und womöglich als Kanonenfutter enden. Es gibt keine Ausrüstung, Kakerlaken im Essen und noch nicht einmal ein Bett zum Schlafen.

Auch schon zuvor gab es zumindest für Jakob Momente des Zweifelns. Als bei einem gemeinsamen Badeausflug wenige Wochen vorher ein jüdischer Junge beinahe vor ihren Augen ermordet wird, lassen Jakob diese Szenen kaum noch los. Er fühlt sich schuldig, den Jungen nicht gerettet zu haben. Gleichzeitig fragt er sich, wie die Situation zu dem ihm vermittelten Weltbild passt. Kapitel für Kapitel schärft sich sein Blick, wird klarer und fokussierter. Doch was zum Vorschein kommt, ist unbegreiflich.

Auf die Euphorie folgt die Erkenntnis, auf die Erkenntnis Todesangst

Die jugendliche Vorfreude, mit der Jakob, Franz, Hannes und Walter ihrem bevorstehenden Fronteinsatz entgegenblicken, erinnert an Remarques „Im Westen nichts Neues“. Einzig Martin, der Ruhige in der Gruppe, scheint das blendende Element, die Unwahrheiten und Gräueltaten der Nazis zumindest in Ansätzen von Anfang an zu erkennen. Er hat als Jahrgang 1928 keine Wahl, doch im Kleinen leistet Martin immer wieder leisen Widerstand durch ein hohes Maß an Menschlichkeit, Respekt und Loyalität seinen Freunden und später auch völlig Fremden gegenüber. Anfangs nur in einer Nebenrolle präsent, etabliert sich Martin im Laufe der Handlung zu einem Hauptakteur an der Seite von Jakob.

Das charakterlich komplette Gegenteil spiegelt sich in der Figur von Jakobs anfänglich bestem Freund Franz wider. Dieser hat die nationalsozialistische Ideologie zutiefst verinnerlicht. Getrieben von einem opportunistischen Vater, der zudem stolzes Parteimitglied der NSDAP ist, präsentiert sich Franz in der Hitlerjugend sowie in der Freundesgruppe als „vorbildlicher Deutscher“, indem er Andersdenkenden droht, sie an seinen Vater zu verraten.

Ein unterschwelliger Spannungsbogen ist während der gesamten Handlung spürbar. Stets befürchtet man hinter der nächsten Ecke ein neues Übel. Zahlreiche überraschende Wendungen lassen einen das Buch ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr aus der Hand legen. Maria, so viel kann verraten werden, umgibt ein Geheimnis, das für Jakob alle sicher geglaubten Grundfeste ins Wanken bringt. Und so findet er sich plötzlich in einer Realität wieder, die er so nie für möglich gehalten hat. Auf der Flucht, in Lebensgefahr und mit der immer größer werdenden Hoffnung, dass Deutschland diesen Krieg bald endlich verlieren wird.

Fazit

Ein absolut ergreifender und packender Roman, der das Kartenhaus aus Lügen in sich zusammenfallen lässt. Was bleibt, ist eine traurige Erkenntnis, die allzu viele Opfer gefordert hat. Ein wichtiges Jugendbuch!

Das letzte Aufgebot

Moritz Seibert, Karibu

Das letzte Aufgebot

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