verstörende Sinnsuche
Das meint Jugendbuch-Couch.de: "verstörende Sinnsuche "
"Nichts bedeutet irgendetwas", behauptet Pierre Anthon. "Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun."
Danach verlässt er den Klassenraum, schwingt sich in einen Pflaumenbaum und sitzt von nun an jeden Tag im Geäst und wiederholt seine nihilistische Behauptung mit immer neuen Worten.
Eigentlich verrückt, doch bei seinen Mitschülern und Mitschülerinnen hat er mit seiner Aussage einen empfindlichen Nerv getroffen.
Pierre Anthon zwingt sie zum Handeln!
Die Frage nach Zukunft, Lebensweg, Wünschen, Träumen und dem Erwachsenwerden scheint sich in einem einzigen Plan zu manifestieren: Pierre Anthon zu zeigen, dass es sehr wohl etwas gibt, das Bedeutung hat.
Als der passende Raum gefunden wird, beginnt die Klasse im Geheimen – Kein Erwachsener darf etwas merken! – Dinge mit Bedeutung zu sammeln.
Grüne Sandalen, eine Beatles-Kassette, eine alte Puppe, ein Gesangbuch, afrikanische Papageienohrringe, Bücher … Der Berg wächst und wächst!
Und doch bleibt das mulmige Gefühl, dass es nicht reicht.
Als sie sich gegenseitig beginnen zu beobachten und die Herausgabe von für den anderen bedeutsamen Dingen zu erzwingen, ist es längst zu spät.
Gemeinsam haben sie einen Wg eingeschlagen, in dem es nicht mehr um Bedeutung geht. Unter dem Deckmantel der Bedeutung wird auf Rache gesonnen, werden furchtbare Opfer gefordert, wird der Gruppendruck immer stärker.
Was mit harmlosen Erinnerungsstücken begonnen hat, endet – und damit ist dank des Klappentextes nicht zu viel verraten – mit dem Verlust der Unschuld, dem Ausgraben eines Kindersarges, der Tötung eines Hundes und Schlimmeren.
Zugegeben, auf den ersten Seiten reizt diese sehr trocken erzählte Geschichte noch zum Schmunzeln. Mit einer fast schon stumpfen Dreistigkeit stellt Pierre seine provozierende These auf, und so recht glauben kann man nicht, dass er es schafft, seine Klassenkameraden auf diese Weise derart vor den Kopf zu stoßen, dass sie ihm unbedingt das Gegenteil beweisen müssen. Die Tatsache, dass Pierre sich von nun an im Pflaumenbaum befindet, belustigt doch ein wenig. Seine stoische Überheblichkeit und sein Nicht-weichen-wollen erinnern fast schon an einen Sitzstreik. Man fragte sich natürlich, warum Pierre Anthon einen so großen Einfluss besitzt, warum seine Worte so wichtig genommen werden.
Schnell wird deutlich, wie wenig Einfluss die Erwachsenen in dieser Geschichte besitzen. Zwar fürchtet die Klasse die Entdeckung, doch dies und die wahrscheinlich wenig angenehme Reaktion bringt niemanden dazu, sich richtig, anders oder gar moralisch zu verhalten.
Die Klasse funktioniert nach ihrem eigenen System, und mit immer größer werdendem Schrecken verfolgt man nun, wie dieses sich verselbstständigt und Regeln, Rechte und Ordnung vergessen werden. Alles ordnet sich der Suche nach Bedeutung unter, auch wenn diese sich längst verschoben hat.
Mit jeder weiteren Seite vergeht das Lachen und Besorgnis, Beklemmung und Erschütterung machen sich breit.
Atempausen oder Momente zum Luftholen gibt es nicht.
Auf den Gedanken "Das können sie doch nicht ernsthaft tun!" folgt unweigerlich die bittere Erkenntnis "Sie haben es getan!".
Man schluckt - und vergisst fast, sich darüber zu wundern, warum die Schüler keinen anderen Ausweg finden.
Dass es kein Happy End gibt, ist weder eine Überraschung noch zu viel verraten. Dass die gemeinsame Suche nach Bedeutung die Schüler letztlich für immer entzweit, ist ebenfalls keine Überraschung. Nachdem gegen Ende noch die Frage aufgeworfen wird, ob der Preis der Bedeutung in Geld aufzuwiegen ist, nehmen die Schüler grausame Rache an Pierre Anthon, den sie für ihre eigenen Taten verantwortlich machen.
In sehr trockenem und fast schon provokant einfachen Worten zeigt Janne Teller, zu was Menschen und in diesem Fall junge Menschen in der Lage sind.
Man stellt sich die Frage, ob das, was passiert ist, wirklich realistisch ist, und ein wenig mulmig ist einem schon, wenn man zugeben muss, wie schnell sich Strukturen verselbstständigen können und wie mächtig Gruppendruck sein kann.
Beispiele für derartige Mechanismen gibt es viele.
Wenn man also glaubt, genug über den Inhalt und die Aussage dieses Buches zu wissen, so muss Folgendes dringend klargestellt werden: Die beständig ansteigende Beklemmung und das Entsetzen über die geschilderten Ereignisse kann man erst spüren, wenn man das Buch selbst gelesen hat.
Seit Erscheinen wird über "Nichts – Was im Leben wichtig ist" gesprochen, gestritten, diskutiert und philosophiert. Es wurde verboten, bekam verschiedene Auszeichnungen, wird mittlerweile in Schulen besprochen und sogar als Theaterstück aufgeführt.
Die Medienpräsenz von Buch und Autorin Janne Teller ist enorm und hat nicht zuletzt dazu geführt, dass das Buch einen Platz auf der Spiegel Bestsellerliste erobert hat und von Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen gelesen wird.
FAZIT
Nichts bedeutet irgendetwas!
Auf beklemmende Weise erzählt Janne Teller hier, wie sich eine ganze Schulklasse durch die nihilistische Behauptung eines Mitschüler auf Sinnsuche begibt. Was harmlos beginnt, endet in einer kaum fassbaren Grausamkeit. Zurück bleibt Beklemmung und die bange Frage, ob "Nichts - Was im Leben wichtig ist" die Abbildung unserer Realität ist.
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