Nirgendwo in Berlin

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2011
  • 0
  • Fischer, 2011, Originalausgabe
Nirgendwo in Berlin
Nirgendwo in Berlin
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Rita Dell'Agnese
9101

Jugendbuch-Couch Rezension vonOkt 2011

Gefährliches Spiel im Chatroom

Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Gefährliches Spiel im Chatroom"

[Jugendbuch des Monats - Oktober 2011]
Für die 15-jährige Greta gerät die Welt aus den Fugen, als ihre Eltern sich trennen. Sie ist überzeugt, dass das alles nur passiert ist, weil ihre Mutter Moa diesen tollen Job in einer Redaktion in Berlin bekommen hat. Greta hat Heimweh nach ihrer Freundin Frede und dem attraktiven Felix, für den sie schon eine ganze Weile schwärmt. Während Frede und Felix den Sommer zusammen genießen können, fühlt sich Greta in Berlin verloren. Neue Freunde sind keine in Sicht: mit dem Punk Konrad, der im selben Haus wohnt, kann Greta ebenso wenig anfangen, wie mit der 13-jährigen Cindy vom 1. Stock. Cindy ist eine richtige Nervensäge. Im Chat lernt Greta Pampolina kennen. Doch plötzlich ist Pampolina verschwunden. Dies, nachdem sie Greta anvertraute, dass sie sich mit einem Jungen aus dem Chat verabredet hat. Als sie mehrere Tage nichts mehr von Pampolina hört, macht sich Greta Sorgen. Erst recht, da just in diesen Tagen in Berlin ein junges Mädchen verschwunden ist. Ist Pampolina tatsächlich die verschwundene Paulina? Und mit wem hat sich das Mädchen getroffen? Greta macht sich auf eine gefährliche Suche.

Virtuelle Freundschaft als Ersatz für die Freunde, die nicht mehr da sind? Für Greta scheint dies der einzige Ausweg aus ihrer Einsamkeit nach dem Umzug zu sein. Zwar ärgert sie sich über die Flunkerei von Cindy, die unter dem Namen Püppchen im Chat nicht nur hemmungslos flirtet, sondern auch von Dingen erzählt, die nur wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Wenigstens kann sich Greta, die ihre ersten Erfahrungen im Chat sammelt, mit Pampolina austauschen. Einem Mädchen, das genau so einsam ist wie sie. Und das mit einem gewissen Zynismus die zerrüttete Ehe seiner Eltern kommentiert. Es erstaunt nicht, dass sich Greta zu Pampolina hingezogen fühlt. Sie kommt mit ihrem eigenen Gefühlschaos nur schwer zugange und sucht nach etwas Halt.

Intensiv setzt sich Beate Teresa Hanika mit der Frage auseinander, ob Mütter ein Recht auf ein eigenes Leben haben. Denn Greta rebelliert, als sie feststellen muss, dass ihre Mutter ein Verhältnis mit dem Chefredakteur hat – einem unsympathischen, ständig schwitzenden Mann. Tochter und Mutter müssen sich miteinander auseinander setzen und gehen dabei den Weg, den die meisten Eltern und Kinder im Laufe des Erwachsenwerdens der Kinder gehen müssen. Sie sprechen nicht mehr dieselbe Sprache, möchten sich zwar wieder ganz nahe sein, wissen aber nicht richtig, wie sie aufeinander zugehen sollen. Besonders schwierig wird die Situation, als sich Greta in den Sozialarbeiter Mikesch verliebt, der sich um Konrad kümmert. Die Mutter ist entsetzt, dass sich ihre Tochter mit einem um einige Jahre älteren Mann trifft, die Tochter ist empört darüber, dass ihre Mutter ihr die aufkeimende Liebe nicht gönnt. Statt sich miteinander auszusprechen, verschanzen sich die beiden hinter einer Mauer voller Zorn und Missverständnissen. Und damit wird erst die Basis dafür gelegt, dass sich die Tochter in einem wichtigen Moment nicht an die Mutter wendet, sondern auf eigene Faust versucht, den möglichen Entführer von Pampolina zu finden.

Die Autorin stellt auch die Frage in den Raum, was denn Freundschaft wirklich bedeutet. Greta kommt nicht damit zurecht, dass das Leben im Dorf auch ohne sie weiter geht und sich ihre beste Freundin nicht im selben Maße nach ihr sehnt, wie sie sich nach der Freundin. Schlimmer noch: In den Augen Gretas begeht Frede einen großen Verrat und zerstört damit die Freundschaft. Verletzt zieht sich Greta zurück, ohne wirklich zu begreifen, dass auch sie sich zu verändern beginnt und ihr Leben anders wird. Feinfühlig begleitet Beate Teresa Hanika diesen Prozess und bindet ihn gut in die Handlung ein.

FAZIT

Ein aktuelles Thema und eine Situation, die fast jeder aus eigener Erfahrung kennt, geben eine ideale Mischung für einen spannenden Jugendroman. Die Autorin macht sichtbar, wie gefährlich es werden kann, wenn sich jemand mit vermeintlichen Freunden aus dem Chat trifft. Dass in den Chatrooms geflunkert wird, sich darin seltsame Leute tummeln und man sich in vielem täuschen kann, kommt sehr gut zum Ausdruck, ohne dass es nun in eine Moralpredigt ausartet. Durch das sensibel geschilderte Gefühlschaos von Greta kann dieser Roman durchaus auch Müttern von Teenagertöchtern einen wichtigen Anhaltspunkt geben und sie darauf aufmerksam machen, wie zerbrechlich in dieser Zeit das Vertrauensverhältnis sein kann.

Nirgendwo in Berlin

Beate Teresa Hanika, Fischer

Nirgendwo in Berlin

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