viel mehr als: Drei Männer und ein Baby
Das meint Jugendbuch-Couch.de: "viel mehr als: Drei Männer und ein Baby"
Was tun, wenn plötzlich eine fast vergessene Ex-Freundin mit einem Baby zu Besuch kommt und behauptet, es wäre die eigene Tochter? Was tun, wenn sie nur mal kurz etwas besorgen will und nicht wiederkommt? Was tun, wenn man eigentlich studieren gehen wollte und sich nun um eine Tochter kümmern muss, deren Namen man anfangs nicht einmal aussprechen kann?
Malorie Blackman ist in Deutschland vor allem durch das 2008 auf Deutsch erschienene Buch "Himmel und Hölle" bekannt geworden, das den Beginn einer Trilogie bildet, die das Thema Rassismus aus ungewöhnlicher Sicht behandelt: Die unterdrückten Menschen sind Weiße.
Wer "Himmel und Hölle" gelesen oder auch nur davon gehört hat, dürfte bereits ahnen, dass "Boys don’t cry" weit über ein Buch zum Thema Teenager-Schwangerschaft hinausgeht.
Und eins fällt natürlich sofort auf: Es geht hier nicht um die Mutter, es geht allein um den 17-jährigen Vater, der am Anfang des Buches aufgeregt auf seine Prüfungsergebnisse wartet und schließlich mit einem Baby da sitzt. Während er selbst völlig schockiert, überfordert und durcheinander ist und irgendwie immer noch glaubt, jeden Moment aus dem Alptraum aufzuwachen und seine Pläne nicht ändern zu müssen, reagieren sein Vater ungehalten und sein Bruder Jamie begeistert auf den überraschenden Familienzuwachs.
Durch die drei unterschiedlichen Typen und Einstellungen, geschickterweise dreimal männlich, blättert sich ein überaus facettenreiches Bild des Familienlebens auf.
Vater und Söhne sprechen kaum miteinander, jeder führt sein eigenes Leben und löst seine Probleme mit sich allein.
Jamies Homosexualität wird weder von Dante noch von seinem Vater wirklich akzeptiert. Gespräche, die Jamie darüber führen möchte, werden eher abgeblockt als ernstgenommen. Der Vater arbeitet sehr viel, und Dante macht sich nur Gedanken um seine Zukunft, möglichst fernab der Familie.
Dass Emma plötzlich da ist, aber seiner Meinung nach nicht hineinpasst, ist vergleichbar mit einem kleinen Sturm, der den tristen Alltag durcheinanderwirbelt.
Dante muss erst einmal lernen, wie man mit einem Baby umgeht – vom Windeln wechseln bis hin zur richtigen Temperatur des Babybreis. Ohne seinen Vater, der ihm zwar ordentlich die Leviten liest, aber dennoch unter die Arme greift, hätte er es wohl kaum geschafft, ganz langsam in seine Rolle als Vater hineinzuwachsen. Dante dabei zu begleiten ruft die verschiedensten Emotionen hervor, von Enttäuschung bis hin zu Stolz ist tatsächlich alles dabei. An der Verbindung der Brüder und an der Rolle des Vaters, der ebenfalls große Opfer bringt, merkt man, dass es Malorie Blackman neben dem Aspekt, was es bedeuten kann, in jungen Jahren Vater zu werden, vor allem auf die Entwicklung in der Familie ankommt. Die kleine Emma gibt da nur den Anstoß zu dem, was vorher ein wenig verschüttet war. So verteidigt Dante seinen Bruder vor seinen Freunden und scheut sich nicht davor, ihn auch ein wenig rabiat zu beschützen. Sobald sein Gerechtigkeitssinn angesprochen wird und sobald Personen leiden, die ihm wichtig sind, mischt er sich ein, ohne Rücksicht darauf, mit wem er sich anlegt.
Doch das sich anbahnende Drama kann er nicht verhindern.
So beinhaltet "Boys don’t cry" – ein in jeder Hinsicht passender Titel – letztendlich zwei Hauptthemen:
Erstens die Vaterschaft eines 17-jährigen und seine Wandlung zu einem verantwortungsbewussten jungen Mann, der seinen Platz mit allen Höhen und Tiefen, Vorteilen und Nachteilen einnimmt und dazu in der Lage ist, vernünftige Entscheidungen für sich und seine Tochter zu fällen.
Zweitens die Schwierigkeit für Jamie, damit umzugehen, dass seine Homosexualität zwar akzeptiert, aber nicht vollständig respektiert wird, und obwohl er kein Geheimnis daraus machen will und macht, muss er sehr schmerzhaft erfahren, dass andere dies nicht können, sich durch ihn vielmehr provoziert fühlen.
Obwohl das Cover perfekt zu Dante passt, ist es doch ein wenig schade, dass nirgends ein Hinweis auf seinen jüngeren Bruder zu entdecken ist.
Und auch der Vater muss an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden. Bewundernswert, wie er wirklich alles für seine Söhne tut, und überraschend, mit welchen Informationen er letztendlich noch herausrückt.
Sogar der weibliche Part kommt durch die Tante der Jungs nicht zu kurz, die vor Emmas Anwesenheit immer ein wenig genervt betrachtet wurde, dann aber vor allem in Dantes Augen durch ihre Klugheit und ihre helfende, unaufdringliche Art an Sympathie gewinnt.
Die Familie formt sich neu. Es wird geredet, Schwächen können zugegeben, über Gefühle kann gesprochen werden. Die Dynamik ändert sich langsam, und es ist ungemein fesselnd, diesem Prozess beizuwohnen.
Und dabei besitzt Malorie Blackman die Fähigkeit, den Leser durch sämtliche Emotionen zu treiben. Wie die kleine Emma langsam aber sicher zum wichtigsten Menschen für Dante wird, er gleichzeitig feststellt, dass er für seine gesamte Familie wirklich alles tun würde, berührt.
Fast wünscht man sich, selbst Teil dieser Familie zu sein, die trotz ihrer vielen Probleme und Sorgen in ihrem Zusammenhalt, ihren Gefühlen füreinander und ihrem Willen, eine Familie zu sein, beeindruckt.
FAZIT
Malorie Blackman entwirft das facettenreiche Bild einer Familie, die plötzlich mit einem neuen Familienmitglied zurechtkommen muss: der kleinen Emma, Tochter des erst 17-jährigen Dante. Dante, sein Bruder Jamie und der Vater der Jungs – jeder reagiert anders auf den Zuwachs, der das eingefahrene Familienleben gehörig durcheinanderwirbelt, für neue Dynamik sorgt und die richtigen Personen auf bewundernswerte Weise reifen lässt.
Malorie Blackman erzählt so emotional, dass man versucht ist, das Buch nach jedem Absatz sinken zu lassen, um erst einmal tief durchzuatmen.
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