Im Jahr 1900 schnitzt im bayerischen Oberammergau ein Holzschnitzmeister einen Nussknacker. Wunderschön bemalt steht er jedoch unbeachtet im Schaufenster, denn es herrscht Armut im Land und die Leute haben kein Geld für solche Spielereien. Und als dann die Armut immer schlimmer wird und im Haus des Holzschnitzers das Brennmaterial nicht mehr ausreicht, droht dem Nussknacker das grausame Schicksal, als Heizmaterial zu enden. Doch Wilhelm, der Sohn des Holzschnitzers, weiß dies zu verhindern. Wilhelm gewinnt überraschend eine Teilnahme bei der Jungfernfahrt des neuen Zeppelins und nimmt zu diesem großen Ereignis heimlich auch den Nussknacker mit. Als der Zeppelin jedoch Feuer fängt und abstürzt, verliert Wilhelm in dem dann einsetzenden Chaos seinen Nussknacker. Und so beginnt für den hölzernen Mann eine lange und ungewöhnliche Reise. Er gelangt auf vielfältigste Weise von einem Besitzer zum nächsten, wandert so durch ein ganzes Jahrhundert und erlebt so manches aufregende Abenteuer. Er wird für seine jeweiligen Besitzer zum Tröster, Talisman, Überbringer geheimer Botschaften und gutem Freund.
"Der Nussknacker" ist ein Jahrhundertroman im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Leser begleitet den Nussknacker auf seiner langen Reise durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er wird mit ihm Zeuge vieler gesellschaftlicher Veränderungen und historischer Ereignisse. Gemeinsam mit dem Nussknacker erlebt der Leser z. B. den Untergang der Titanic, wird im Ersten Weltkrieg Zeuge erbitterter Kämpfe, erlebt Judenverfolgung und Widerstandsbewegung im Dritten Reich, erlebt die Gründung der BRD und der DDR, ist beim Mauerbau dabei und erlebt die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, er landet in den Wirren des jugoslawischen Bürgerkriegs, er verfolgt die Veränderungen in Kunst und Musik, wird Zeuge des immer schneller voranschreitenden technischen Fortschritts bis sich am Ende der Kreis wieder schließt und der Nussknacker kurz vor der Jahrtausendwende zum Ausgangspunkt seiner Reise, nach Oberammergau, zurückkehrt.
Der Autor nimmt seine Leser mit auf eine spannende und witzige, manchmal dramatische und auch traurige Reise. Flott und leicht erzählt, packt er viele historische Ereignisse in seine Geschichte, dabei werden einige Dinge nur nebenbei erwähnt, andere Ereignisse werden etwas ausführlicher beschreiben.
Es sind Kinder und Jugendliche, durch deren Hände der Nussknacker hauptsächlich geht. Und dieser Nussknacker ist ein vorwitziger kleiner Schelm und ein sehr guter Beobachter.
Er erzählt und kommentiert auf sehr humorvolle Weise, wie er in die Hände seiner jeweiligen Besitzer gerät und erzählt dem Leser, wie das Leben dieser Kinder und Jugendlichen durch historische Ereignisse und gesellschaftliche Veränderungen beeinflusst wird.
Dabei bleiben die Begegnungen des Nussknackers mit seinen jeweiligen Besitzern natürlich immer nur Momentaufnahmen. Es sind flüchtige Begegnungen und Episoden, kurze Stationen auf der langen Reise des Nussknackers.
Der Autor schreibt in die Breite, nicht in die Tiefe und das ist auch einer der großen Nachteile dieses Romans. Da die Begegnungen des Nussknackers mit seinen Besitzern zum Großteil nur von sehr kurzer Dauer sind, hat der Leser kaum die Möglichkeit, irgendeinen Bezug zu den vielen Personen aufzubauen, die in diesem Roman auftauchen. Kaum ist man mit einer Person etwas vertraut geworden, muss man sie schon wieder verlassen und wird mit dem nächsten Besitzer des Nussknackers konfrontiert und in dessen Geschichte geworfen. Diese Erzählweise nutzt sich ab, je weiter die Geschichte fortschreitet und verliert ihren Reiz, denn es wird für den Leser irgendwann nahezu unmöglich, die Übersicht zu behalten, geschweige denn Namen und Ereignisse richtig zuordnen zu können, wenn sich der Nussknacker Jahre später an irgendwelche Personen erinnert, die ihm auf seiner Reise mal begegnet sind.
Der größte Schwachpunkt dieses Romans sind die Reisen des Nussknackers in die ehemalige DDR. In diesen Kapiteln stecken nicht nur die meisten historischen Fehler - selbst das Gründungsdatum der DDR ist falsch angegeben - hier beschränkt sich der Autor leider auch nur auf das typisch westdeutsche Halbwissen gepaart mit den üblichen abgenutzten Klischees.
FAZIT
Für Geschichtsinteressierte ist dieser Roman eine wahre Fundgrube. Auch wenn viele historische Ereignisse nur kurz angerissen werden oder manchmal nur in Nebensätzen erwähnt sind, spornt es den Leser doch an, sich selbst auf Recherchereise zu begeben und sich mit dem einen oder anderen Ereignis vertiefter auseinanderzusetzen. Oder ganz einfach mal Eltern und Großeltern zu fragen: "Wie war das damals eigentlich?".
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