Die Vergangenheit in der Zukunft
Das meint Jugendbuch-Couch.de: "Die Vergangenheit in der Zukunft"
Ein Ereignis in der Zukunft hat die Menschheit an den Abgrund gebracht. Die achtzehnjährige Saba lebt mit ihrem Vater, ihrem zwei Stunden älteren Zwillingsbruder Lugh und der neunjährigen Schwester Emmi am Silverlake. Die Mutter ist bei Emmis Geburt gestorben. Eines Tages kommen vier Männer, töten den Vater und entführen Lugh. Saba bestattet den Vater und bringt Emmi nach Crosscreek zu Mercy, einer Freundin der Mutter. Begleitet wird sie von ihrer zahmen Krähe Nero. Mercy erzählt von Hopetown, der Stadt, aus der sie und Sabas Familie einst gekommen sind, und die nun von bösen Menschen beherrscht wird. Sie liegt ungefähr eine Woche Fußmarsch entfernt. Die Reiter, die Lugh geholt haben, waren wahrscheinlich die Tonton aus Hopetown. Sie brauchen ihn, den achtzehnjährigen Jungen, der an Mittwinter geboren wurde.
Saba macht sich auf den Weg nach Hopetown, bewaffnet mit ihrer Armbrust, begleitet von Nero, um Lugh zu suchen. Mercy hat sie vor dem größten Hindernis auf der Reise gewarnt, dem Sandmeer. Heimlich folgt Emmi ihrer Schwester. Sie werden im Sandmeer von zwei Hausierern gefangen genommen, die mit Saba als Käfigkämpferin in Hopetown Profit machen wollen. Emmi ist die Geisel, die Sabas Gehorsam sicherstellen soll. Schon bald wird Saba in Hopetown "Der Todesengel" genannt. Sie kämpft und siegt, um am Leben zu bleiben und an ihrer Flucht zu arbeiten.
Auftakt zu einer dystopischen Trilogie
"Die Entführung" ist Moira Youngs erster Band der dystopischen Trilogie "Dustlands". Er hat mit Saba eine Erzählerin als Hauptfigur, die einen Dialekt spricht, der für Leser und Leserinnen der Originalfassung eine Herausforderung ist. Die Übersetzerin Alice Jakubeit hat die schwierige Aufgabe, für diesen Dialekt eine angemessene deutsche Entsprechung zu finden, gut gelöst, auch wenn sie die meisten Stellen sprachlich geglättet hat. ("He’s always got a opinion does Nero, an he’s real smart too. I figger if only we could unnerstand crow talk, we’d find he was tellin us a thing or two about the best way to fix a roof.” wird zu: "Er hat zu allem eine Meinung, der gute Nero, und er ist wirklich klug. Ich glaube, wenn wir bloß die Krähensprache verstehen könnten, würden wir merken, dass er uns ein, zwei Sachen darüber erzählen kann, wie man ein Dach richtig repariert.”) Wie im Original gibt es keine Anführungszeichen zur Kennzeichnung direkter Rede.
Young beschreibt eine Gesellschaft im Zusammenbruch, der sich nicht nur auf die Menschen auswirkt, sondern auch auf deren Sprache, die – in der Originalfassung - langsam zerfällt und kehliger wird, ein wenig wie im Metalgesang. Sie ist somit ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Niedergangs und bleibt nicht erhalten. Sie hat einen melodischen Klang, und es macht Spaß, das Buch laut zu lesen, nachdem man sich in die Sprachmelodie hineingefunden hat. Es lohnt sich auch, die deutsche und englische Fassung parallel zu lesen.
Die Welt, die Moira Young uns präsentiert, ist gut durchdacht.
Saba ist eine Hauptfigur, die ihren Zwillingsbruder liebt, ihre kleine Schwester hasst, bisweilen unangenehm ist, bisweilen liebenswert. Die Beziehung zur Schwester verändert sich während der gemeinsamen Suche nach Lugh nicht wirklich. Manche Leser mögen dies unrealistisch finden, weil sie aus dem Gros der Literatur kennen, dass zwei Menschen, die sich zu Beginn nicht leiden können, sich im Verlauf der Handlung näher kommen. Aber der Hass auf Emmi ist ähnlich stark wie die Liebe zum entführten Bruder, und Saba erwächst aus der Verantwortung, die sie für Emmi übernimmt, keine Zuneigung.
Saba ist keine große Denkerin, was man ihr als Erzählerin auch anmerkt. Sie bemerkt vieles, versteht es aber längst nicht alles. Als sie auf Jack trifft, deutet sich zwar bald die unvermeidliche Romanze an, aber Saba hat Schwierigkeiten, zu verstehen, was überhaupt in ihr vorgeht, nicht selten auch, was Jack ihr erzählt.
FAZIT
"Die Entführung” ist trotz seiner Romanze kein Mädchenbuch über die erste Liebe, sondern ein harter Abenteuerroman über eine Zivilisation im Zerfall. Die sehr gut charakterisierten Figuren sind alles andere als perfekt, und gerade deshalb können wir sie mögen. In Momenten erinnert der Roman an Filme der Mad Max-Reihe.
Es ist sehr interessant, wie Saba sich die Welt über das Nichtverstehen erschließt. Ein gelungener Kunstgriff, sehr glaubwürdig und spannend zu lesen. Einer der faszinierendsten Jugendromane der letzten Jahre.
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